Welt

Von der Illusion der Perfektion

TAJ MAHAL. INDIEN.

Der Bau des Taj Mahals wurde im 17. Jh. von Shah Jahan veranlasst. Als Grabmal für seine verstorbene und über alle Maßen geliebte Frau Mumtaz Mahals. Er baute ihr ein Mausoleum, das an Schönheit und Symmetrie wohl kaum zu übertreffen ist. Es gilt als Sinnbild der Perfektion, als wahrer Traum weißen Marmors.

Ich besuche Agra, eine Stadt in Nordindien und stehe plötzlich staunend davor. Ein derart schönes Gebäude habe ich zuvor noch nie gesehen. Wie kann man nur so etwas Wundervolles kreieren? Ich konnte nur im Ansatz erahnen, was Shah Jahan für seine Frau empfunden haben muss, um ihr dieses Gebäude zu schenken. Nach ihrem Tod. Als Andenken und Ehre.

Ich betrachtete es stundenlang, von allen Richtungen und aus den unterschiedlichsten Perspektiven. Der Zauber, der von diesem Gebäude ausging, ist kaum zu beschreiben.

Es schien perfekt. Zumindest solange man es von außen betrachtet. Im inneren, zentralen Punkt des Mausoleums stand lange nur ein Sarg. Ihr Sarg. Völlig zentral, perfekt symmetrisch platziert. Verzaubernd. Doch diese Magie wurde zerstört, als der Sohn der beiden Liebenden, den Sarg seines Vaters auch im Taj Mahal aufbewahren ließ. Und zwar rechts neben seiner Mutter. Der Platz links daneben blieb frei. Die komplette Perfektion, die Shah zeitlebens von dem Gebäude verlangt hatte, war nach seinem Tod durch seinen eigenen Sarg zerstört. Bis heute.

Die Krankheit unserer Zeit ist der Perfektionismus.

Konrad Adenauer

Ich verstehe gar nicht, warum viele Menschen nach der absoluten Perfektion streben. Sie ist nicht zu erreichen und sie ist schon gar nicht erreichenswert. Viele Menschen brechen an den eigenen Vorstellungen von Perfektion. Sie müssen perfekt sein, ihre Partner und ihre Kinder müssen perfekt sein. Ihr Leben muss perfekt sein… Doch wofür? Wofür braucht es diese Illusion der Perfektion? Wieso denn bloß? Wenn wir doch alle wissen, dass nichts so perfekt ist, wie es scheint. Nicht einmal der Taj Mahal.

Wir lassen uns verführen und uns in den Bann der Perfektion treiben. Wir realisieren unsere Träume nicht, weil wir stets glauben, erst starten zu können, wenn wir perfekt sind. Wir versäumen unser Leben. Wir vergeuden wertvolle Lebenszeit. Wir vergessen einfach glücklich zu leben, weil wir stets an der absoluten Perfektion arbeiten. Verbissen. Kleinlich. Unsicher. Und unnötig.

Entscheiden wir uns für die Wärme des Unperfekten, anstelle der kalten Perfektion. Zeigen wir unsere kleinen Schwächen und Mängel, die uns Charme verleihen.

Zeigen wir sie. So wie es auch der Taj Mahal tut. Er lässt Führungen in sein Inneres zu. Führungen zum unsymmetrischen Teil. Und wisst ihr was? Es kommen sogar noch mehr Besucher, um den Bruch der Symmetrie zu sehen. Der Taj Mahal hat nichts von seinem Zauber an mich verloren. Auch nachdem ich sein „unperfektes“ Innere gesehen habe bzw. wahrscheinlich gerade deshalb nicht.

Du willst glücklich sein?
Dann hör auf, perfekt sein zu wollen.

Brené Brown

Genießen wir den Zauber des Lebens.
Alles Liebe, Berny